Mittwoch, 1. September 2010

nicht immer schön: leben & arbeiten in der innenstadt von bochum.

Heute gebe ich Euch mal den Nestbeschmutzer und mecker über meine geliebte Heimatstadt, in der auch nicht alles so vorbildlich läuft wie man denkt.

Es ist verständlich und normal, dass es mitten in der Stadt ein wenig lauter ist. Aber was man mir seit ein paar Jahren bietet, überschreitet das Maß gehörig - und treibt mich in die Flucht.

Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll bei Veranstaltungen auf dem großspurig benannten Boulevard Bochum die Innenstadt zu meiden - zumindest wenn man Anwohner dort ist. Warum? Ist doch so schön, macht viel Spaß und sehr praktisch ist es doch auch, so nah dran zu sein. 

Es ist nicht mit der jeweiligen Veranstaltung getan; der Aufbau, die Anlieferungen, der tägliche sowie der abschließende Abbau sind das Problem, so dass man täglich von 5 bis 2 Uhr, also fast rund um die Uhr, Spaß hat. Lautsprecher hängen an alle Laternenmasten und übertragen zwischen 11 und 23 Uhr den lokalen Radiosender in unignorierbarer Lautstärke. Dieses Jahr bekam ich nur den Aufbau mit - bevor ich und viele meiner Nachbarn - flüchtete. Es gab eine Neuerung, denn die Lautsprecher wurden zusätzlich auf den Vordächern der Geschäfte platziert.

Diesen Donnerstag beginnt der Bochumer Musiksommer. An sich kein Problem, sollte man denken, aber die Aufbauarbeiten, die alles nur nicht leise sind, begannen bereits am Dienstag - und zogen sich bis 23 Uhr. Der Mittwoch ging im gleichen Stil munter weiter, dazu kam allerdings, dass man doch einen ausgiebigen Soundcheck durchführen muss - in höchstmöglicher Lautstärke und zwischen 20 und (bis weit nach) 22 Uhr. Ich mag nicht wirklich wissen, was mir ab Donnerstag und bis Sonntag blüht, aber ich kann davon ausgehen, dass die Nacht von Sonntag auf Montag mit dem lautstarken Abbau der Feierlichkeiten wie im Fluge vergeht.

Warum ich mich wegen ein paar hundert Menschen aufrege, nicht an die vielen Besucher und damit verbundenen Einnahmen denke und einfach umziehe?

Weil es viel zu einfach und verdammt kurzsichtig wäre!

Vielleicht sollte sich die Stadt Bochum einfach mal überlegen, was wichtiger und sinnvoller ist? Zahlende Besucher und Gäste kurzzeitig nach Bochum einladen oder den eigenen Bürgern ein angenehmes Leben bieten?

Fakt ist, die Innenstadt stirbt. Vielleicht nicht ganz, denn 1-Euro-Shops, Billigbäcker, Handyshops und weitere kurzlebige Geschäfte findet man reichlich, aber ein Kaufhaus? Fehlanzeige. Immerhin haben wir die Auswahl zwischen drei Supermärkten, deren Auswahl allerdings ein wenig eingeschränkt ist. Einkaufen in der City? Leider nicht vorgesehen, das macht man auf der grünen Wiese weit außerhalb, wo man zum Beispiel als Rentner hervorragend hinkommt und ebenso gerne die Einkäufe per Bus und Bahn nach Hause schleppt. Einkaufen in Bochum - ohne Auto keine schöne Sache, das wäre ein Slogan, der zu Bochum passt.

Darf ich noch ein paar Beispiele nennen?

Der so genannte rote Teppich, der das kleine Wegstück zwischen Bahnhof und Innenstadt markiert, ist auch so eine Sache, die kaum jemand versteht, denn sind wir mal ehrlich: Zu gemütlichen Shopping eignet sich Bochum doch eher weniger, da fährt man halt nach Essen oder Dortmund. Was soll das Teil, außer Geldverschwendung? Die zahlreichen Feierfreudigen finden das Bermudadreieck auch ohne die Farbveränderung unter ihren Füßen zu bemerken. 

Eigentlich könnte ich an dieser Stelle gleich ein paar Zitate bringen, die Jochen Malmsheimer zur Eröffnung der Zeltfestivals im August passenderweise anbrachte. Worte, die direkt, offen, ehrlich und reichlich angebracht waren - und die der Oberbürgermeistern von Bochum gar nicht gefielen.


Die ohnehin leeren Gesichter der Innenstädte werden, wenn sie nicht, wie bei uns, zu einer aseptischen und marmorgekachelten Sturmschneise verkommen, die dann in der immer gleichen, miefigen Bochumer Großmannssucht „Boulevard“ getauft wird, aber eher an eine längs halbierte Schuttrutsche erinnert und die in winterlicher Vereisung das Oberschenkelhalsbruchrisiko für alle oberhalb der 50 Lebensjahre in den Rang einer Gewißheit erhebt ...

Danke, keine Einwände oder Anmerkungen und was wahr ist, ist eben wahr.


Wertewandel ist an sich ja nichts Schlimmes oder gar Verwerfliches, im Gegenteil, es ist ein Zeichen für Entwicklung. Aber das Entscheidende bei einer Entwicklung ist nicht die Tatsache, daß es sie gibt sondern welche Richtung sie nimmt. Und davon gibt es zwei. Das Mittelalter etwa hatte die Hochkultur der Antike vollkommen vergessen. Für über 500 Jahre. Es gibt also durchaus Grund zu erheblicher Sorge. Doch nicht in dieser Stadt.

Wie wir alle wissen, leidet die jeweilige Obrigkeit dieser Stadt, wohlgemerkt nur die Obrigkeit, das aber seit Gründung der Gemeinde, also seit über 900 Jahren, unter der Tatsache, daß Bochum nicht Dortmund ist. Oder Essen. Selbst zu Witten hat es nicht gereicht. Und das nagt. Und bohrt. Und frißt. Und ätzt. Und löchert. Und brennt. Und dann, in einem dieser schwarzen, sauren Momente finsterster Niedergeschlagenheit, muß irgendjemand auf der Suche nach irgendetwas Besonderem durch Zufall das Buch im Bochumer Stadtwappen entdeckt haben. Ein Buch!

Das stimmt zunächst, wiewohl es wichtig ist, zu wissen, daß es sich bei der Herleitung des Emblemes im Jahre 1381 aus dem Namen der Stadt „Bukhem“ schon damals um das Ergebnis eines Übersetzungsfehlers oder schlichter Unkenntnis gehandelt hat, bedeutet „Bukhem“ doch nicht „Bücherheim“ sondern wohl eher „Heim unter Buchen“. Doch das focht vor siebenhundert Jahren niemanden an und tut es heute immer noch nicht, womit eine offensichtlich zentrale Eigenschaft der Bochumer Verwaltung, nämlich das durch keinerlei Sachverstand angekränkelte oder gar durch Recherche getrübte, wider jede Vernunft betonierte Verrharren im Irrtum, sehr schön herausgearbeitet ist.

Aus dem recht dürren Faktum der Anwesenheit eines Buches im Stadtwappen wird hierzustadt flugs die Nähe der Gemeinde zur Literatur gefolgert, was in der Bezeichnung „Stadt des Buches“ gipfelt. Bochum. Stadt des Buches. Ein Buch im Wappen kann aber doch alles mögliche bedeuten: Von einem Hinweis auf das hier blühende Buchbinderhandwerk, über das hohe Vorkommen wackelnder Tische, die erst durch das Unterschieben eines Buches zur Ruhe kommen, bis zu der Tatsache, daß man hiererorts die über der Scheiße in den Häusern kreisenden Fliegen ausschließlich mit Folianten erschlägt oder daß diese Gemeinde vielleicht das Oberzentrum gefinkelter Buchprüfung darstellt, eines Gewerbes also, welches, ganz anders, als Literatur, gänzlich ohne Phantasie auskommt und dergleichen mehr.

Dies ist die Stadt, die trotz der Mahnungen und Warnungen vieler, nicht nur der Fachleute sondern auch vieler ihrer Einwohner, ihre Kanalisation mitsamt der Scheiße an die Amerikaner verkaufte und den ganzen Rotz jetzt verlustreich zurücknehmen mußte, weil selbst der Amerikaner mit Scheiße aus Bochum nichts anfangen kann. Vielleicht hätte man die Verwaltung verkaufen und die Scheiße behalten sollen ...

Dies ist die Stadt, die eine Image-Kampagne in Auftrag gab, und die dann, nach Vergabe dieser Schwachsinnsidee ausgerechnet an eine, wie es scheint mental, wie handwerklich erloschene Essener Agentur, dem erbrüteten Slogan „Bochum macht jung!“ in paradigmatischer Gedankenarmut auch noch die Zustimmung erteilte, anstatt diesen als leuchtendes Beispiel für die Generalabsens von Intellekt und Verstand und für die geradezu erschütternde und maßlose Dumpfbichelei und Geschmacklosigkeit der sogenannten Werbetreibenden auf die Halde arschdummer Gesichtsfurzereien zu werfen, und, die dann die ganze Sache nicht wegen ihrer stupenden Blödigkeit einstellte, sondern weil es bei der Auftragsvergabe auch noch zusätzlich nicht mit rechten Dingen zugegangen war ...

... dies ist die Stadt, die vollmundig, um nicht zu sagen: großmäulig, die Notwendigkeit zur Installation eines vollkommen unnützen Konzerthauses verkündet, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kosten des laufenden Betriebes decken zu können, und das alles in einem Kulturraum, der inzwischen über mehr nicht ausgelastete Konzerthäuser verfügt, als er Orchester unterhält, und die das alles dann doch nicht hinkriegt, weil der Regierungspräsident zum Glück solchen und ähnlichen Unfug einer Gemeinde untersagt hat, die ihre Rechnungen in einer Größenordnung im Keller verschlampt, die unsereinen für Jahre in den Knast brächte und die finanziell noch nicht mal in der Lage ist, die Frostschäden des letzten Winters im Straßennetz zu beseitigen ...

Apropos Bildung: Und natürlich ist das auch die Stadt, die ohne mit der Wimper zu zucken und auf das langjährige Betreiben eines gescheiterten ehemaligen Schülers ein seit Generationen über die Grenzen dieser Stadt wirkendes Haus humanistischer Bemühungen, eines jener am Daumen einer Hand abzuzählenden Dinge, die mal wirklich über die Grenzen dieses Weilers hinaus segensreich wirken, die solch ein Gymnasium also einfach weghaut und die Schüler und Lehrer aus den seit 150 Jahren mit Geist, Witz und Verstand imprägnierten ehrwürdigen Mauern in einen PCB-verseuchten Bimsbunker sperrt, um dieses Filetgrundtsück und das Gebäude anschließend an die Justiz zu verscherbeln.

Eigentlich hat der Herr Malmsheimer fast alles gesagt, außer vielleicht, dass mehr als 20 Schulen und Kindergärten geschlossen wurden, weil die Bürger und Bürgerinnen ja nicht so wichtig sind wie zahlende Besucher. 

Was ich mir wünsche?
  • Eine Stadt, die die Kreativwirtschaft nicht nur auf dem Papier fördert, sondern real und nachweisbar. 
  • Eine Innenstadt, in der man den täglichen Bedarf nicht nur ausreichend, sondern nach eigenen Wünschen decken kann. 
  • Geschäfte, die mehr bieten, als Produkte, die einen Euro kosten und eine Stadtverwaltung, die dem Einzelhandel unterstützend unter die Arme greift. 
  • Eine Oberbürgermeisterin, die ein Auge für die realen Bedürfnisse der Stadt und ihrer Bürger hat und die sich nicht nur der Kultur widmet. 
Danke, geliebtes Bochum, das Deine Verwaltung sich so viel Mühe gibt - zumindest für Besucher von auswärts, denn die Einheimischen werden nicht gefragt. Warum auch?  

Und an die Oberbürgermeister: Außen hui, innen pfui ist einfach keine lebenswerte Einstellung, Frau Scholz! Und wo wir gerade dabei sind: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

wortfeilchen

PS: Beschwerden bringen gar nichts. Außer vielleicht, dass die paar hundert Anwohner rund um den Boulevard laut Aussage der Stadt Bochum Verständnis haben müssen und doch umziehen können - Wohnungen gibt es schließlich ausreichend.

PPS: Nächstes Jahr passiert es dann doch, der Umzug privat und beruflich steht an, aber besser macht es die Sache nicht!